Mitten in der stürmischen Nordsee liegt sie und trotzt seit Jahrhunderten den Naturgewalten: Die Insel Sylt. Doch ohne menschliches Zutun, sorgsame Pflege und aufwendige Maßnahmen wäre das kleine Paradies mitunter schon längst verschwunden.
Vor allem Küstenorte werden die Auswirkungen des Klimawandels in Zukunft deutlich zu spüren bekommen. Für die Insel Sylt prognostizieren Wissenschaftler ein bedrückendes Szenario.
Sylt: Meeresspiegel könnte um mehr als 50 Zentimeter steigen
„Wir erwarten, dass der Meeresspiegel um einige Zentimeter steigen wird. Das Landesamt für Küstenschutz und wir rechnen damit, dass der Meeresspiegel bis zum Ende des Jahrhunderts um mindestens 50 Zentimeter gestiegen ist“, erzählt Helge Jansen, Vorsitzender der Stiftung Küstenschutz auf der Insel Sylt MOIN.DE. Einige Wissenschaftler würden sogar davon ausgehen, dass es bin zu einem Meter kommen kann.
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„Kein Meer hat sich so verändert wie die Nordsee. Wir messen, dass sie sich doppelt so schnell aufheizt wie die globalen Ozeane“, erklärt auch die stellvertretende Direktorin des Alfred-Wegner-Instituts und Direktorin der Sylter Forschungsstelle Wattenmeer in einem Interview. Wenn sich das Meer erhitzt, dehnt sich der Wasserkörper aus und zieht einen Anstieg des Spiegels mit sind. Wenn dann bei Ebbe keine trockenen Flächen mehr entstehen, wird ein gesamtes Ökosystem zerstört.
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Das ist Sylt:
- Sylt ist die größte nordfriesische Insel und liegt in der Nordsee
- Nach Rügen, Usedom und Fehmarn ist Sylt die viertgrößte Insel Deutschlands
- Der Tourismus ist seit über 100 Jahren auf Sylt von erheblicher Bedeutung, seit Westerland 1855 zum Seebad (Kurort) wurde
- Im Sommer befinden sich täglich rund 150.000 Menschen auf der Insel
- Zum Vergleich: Lediglich rund 18.000 Menschen leben auf Sylt
- Die Insel erreicht man mit dem Auto vom Festland mit dem Sylt-Shuttle der DB und dem Autozug, dazu verkehren Nahverkehrszüge und Inter City Züge der DB.
- Auch über den Flughafen Sylt ist die Insel per Linien- und Charterverbindungen zu erreichen
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Für Sylt hätte das erhebliche Folgen. Bereits jetzt kämpfen die Küstenschützer um den Erhalt des sandigen Eilands, das seine Form im Laufe der Jahrhunderte immer wieder verändert hat. Dabei greifen sie auf zwei bewährte Methoden zurück.
Zum einen werden Küsten entlang der Nordsee mithilfe von Deichen gesichert. Diese Maßnahme wurde bereits im Mittelalter entwickelt und seither immer weiter optimiert und angepasst. „Früher wurde mal angefangen mit drei Metern, heute ist man bei neun Metern. Das ist die neue Standardhöhe eines Deiches“, erklärt Helge Jansen. Zusätzlich gehe man mittlerweile einen Schritt weiter und setze dem Deich noch eine Haube auf: „Das ist der sogenannte Klimazuschlag“. Damit gewinnt der Schutzwall noch einmal 50 Zentimeter an Höhe. „Wir müssen uns auf einen Anstieg des Meeresspiegels vorbereiten und die Deiche entsprechend ausrüsten“, sagt Jansen.
Hopperbagger spülen Sand an den Strand
Relativ neu ist hingegen die sogenannte Sandaufspülung. Im Jahr 1972 haben die Küstenschützer auf Sylt damit begonnen, den Sand aus dem Meer zurück an den Strand zu befördern. „Warum? Es ist so, dass man an der Westküste, wo wir unseren Strand haben, gar keinen Deich bauen kann, denn der würde sofort wieder fortgespült werden. Es sei denn, er wäre so gewaltig und groß, dass man gar keinen Strand mehr hat“, so Jansen.
Für die Sandaufspülung kommen Hopperbagger zum Einsatz. In einem Entnahmegebiet etwa 12 Kilometer vor Westerland saugen die Schiffe ein Sand-Wasser-Gemisch in den Schiffsbauch. Das Schiff fährt anschließend zurück an die Küste und pumpt das Gemisch im ungekehrten Förderverfahren wieder an Land. Bei dem Sand handelt es sich um sogenannten Kaolinsand. Da der Sand kantiger ist als andere Sorten, werde er nicht direkt wieder weggespült. „Das Verfahren funktioniert und wir haben seitdem wir das machen, keine wesentlichen Verluste mehr“, weiß Jansen.
Trotzdem verliert Sylt jährlich rund eine Millionen Kubikmeter Sand. Seit 1992 wird durch das Aufspülungsverfahren ebenso viel Sand wieder zurück an die Küste gebracht. „Seitdem wir das tun, haben wir an der Westküste gute Verhältnisse.“
Kaum Gefahren für Tiere durch Sandaufspülung
Jedes Jahr Ende Februar, Anfang März inspiziert der Küstenschutz die entsprechenden Stellen an der Westküste, die durch die Aufspülung wieder an Land und Sand gewinnen sollen. Der Auftrag für die Aufspülung liegt derzeit bei einem dänischen Unternehmen, das über besonders kleine Schiffe verfügt, die für die Arbeiten vor der Küste gut geeignet sind.
Größere Schiffe, wie jene, die zum Beispiel für die Elbvertiefung eingesetzt werden, könnten auch größere Mengen absaugen. Doch für die flache Nordseeküste seien diese Massen zu viel, weiß Jansen. Ende April bis Anfang Mai finden dann die Vorspülungen an der Küste statt. Weil es im Herbst und Winter oft stürmisch wird, können dann keine Arbeiten mehr vorgenommen werden.
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Für Tiere gehe bei dem Verfahren übrigens kaum eine Gefahr aus. Kleintiere werden mit dem Gemisch aufgesaugt und am Strand einfach wieder ausgespült. Von dort aus können sie zurück ins Wasser gelangen. Auch für Fische bestehe keine Gefahr, denn es gebe Siele, damit diese gar nicht erst mit eingesaugt werden.
Größere Meerestiere, wie etwa Schweinswale würde meist freiwillig Reißaus nehmen wenn ein Schiff in der Nähe ist. „Man hat natürlich naturschutzrelevante Untersuchungen gemacht und man hat auch untersucht, wie die Aufspülung das Leben am Strand verändert“. Nach einer Sandvorspülung dauere es etwa drei bis vier Wochen bis sich das gewohnte Leben am Strand wieder einstellt.
Sylter Süden in Gefahr
Besonders heikel ist die Situation an der südlichsten Spitze der Insel. Die sogenannte Hörnum Odde wird immer wieder heftig umspült und verliert dabei jede Menge Sand. „Eines steht fest: Sylt wird immer einen Süden haben. Die Frage ist nur, wo“, scherzt Helge Jansen. Gezeiten, Stürme und Strömungen nagen am Zipfel der Insel. Planungsfehler beim Küstenschutz in den 70er Jahren haben das Problem zudem zusätzlich verstärkt.
„Die Tetrapoden, das sind sieben Tonnen schwere Betonteile, sind damals an die Dünenkante gelegt worden. Das war der größte Fehler. Tetrapoden sind durchaus ein annehmbares Küstenschutzmittel, aber sie müssen dafür richtig platziert werden. An der Dünenkante dienen sie als Wellenbrecher und verteilen die Brandung auf die gesamte Fläche. Dabei reißt das Wasser den gesamten Sand fort. Heute baut man sie anders auf. Dort wo sie jetzt sind, etwa 300 Meter von der Düne entfernt, können sie ihre Wirkung auch entfalten“, erzählt Jansen.
Er selbst ist übrigens über seine Arbeit als Diplompädagoge zum Küstenschutz gekommen. Früher wohnte er in Rantum auf Sylt und leitete das dortige Schullandheim. „Die Klassen und Schüler waren interessiert an Küstenschutz, und so habe ich mich selbst mit dem Thema beschäftigt“, so Jansen. Nach dem Sturm Kyrill, der 2007 auf die Insel traf, habe er die Idee der Stiftung gehabt und den Wunsch, die Sylter mehr über den Küstenschutz zu informieren.
Neben der Aufklärungsarbeit und dem Küstenschutz startete die Stiftung in der Vergangenheit auch zahlreiche Aktionen. So gab es auf Sylt zum Beispiel einige Projekte, bei denen Grundschulklassen Sandfangzäune am Strand errichtet haben. „Ich hoffe, dass wir das bald wieder machen können“, sagt Jansen.