Tief am Boden der Nordsee verbergen sich etliche Spuren der Vergangenheit.
Auf den Gewässern der Nordsee haben sich Forscher im Rahmen eines besonderen Projektes deswegen auf die Suche nach historischen Überbleibseln gemacht, um deren Gefahrenpotential für Pflanzen und Tiere zu untersuchen. Dabei setzen sich die beteiligten Taucher selbst Gefahren aus.
Nordsee: Weltkriegswracks und verklappte Munition schlummern am Meeresgrund
Für das europäische Forschungsprojekt „North Sea Wrecks“ begeben sich Taucher in Wracks und Ruinen aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, die bis heute fast vergessen auf dem Boden der Nordsee liegen.
Inmitten von rostenden Schiffen und Flugzeugen suchen sie nach alter Munition, chemischen Materialien und anderen Altlasten. Wie auch bei Kampfmittelräumdiensten an Land sind dabei eine besondere Ausbildung und viel Erfahrung erforderlich.
„Das sind richtig ausgebildete Forschungstaucher und es gibt eine ziemlich hohe Sicherheitsstufe, denn diese militärischen Wracks sind gefährlich. Da muss man eine besonders hohe Vorsicht walten lassen“, sagt Dr. Sven Bergmann, Koordinator des Projektes gegenüber MOIN.DE.
Auch sein Kollege Philipp Grassel, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Deutschen Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven arbeitet, weiß um die Gefahren: „Wenn man mit Munition arbeitet, egal ob die jung oder alt ist, hat man immer ein Risiko.“ Deswegen würden die empfindlichen Funde auch von Spezialisten geborgen und nicht von Forschungstauchern.
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Das ist die Nordsee:
- die Nordsee ist ein Randmeer des Atlantischen Ozeans
- die Nordsee ist ein wichtiger Handelsweg und dient als Weg Mittel- und Nordeuropas zu den Weltmärkten
- die Fläche beträgt 570.000 Quadratkilometer
- sie ist bis zu 700 Meter tief
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Seit 2018 läuft das internationale Projekt, an dem neben Deutschland auch Belgien, die Niederlande, Dänemark und Norwegen beteiligt sind. Die EU hat für einen vierjährigen Zeitraum insgesamt mehr als vier Millionen Euro zur Verfügung gestellt.
Nordsee: Munitionshüllen werden porös
Ziel der Forscher ist es, die vorhandenen Wracks und Munition zu dokumentieren und zu bewerten. Bereits seit Längerem wisse man um die Relikte der letzten beiden Weltkriege in Nord- und Ostsee, so Sven Bergmann. „Es gab allerdings nie eine große Bereitschaft, dort etwas zu unternehmen. Bis vor Kurzem trat das Problem nur auf, wenn irgendwo etwas im Weg lag, also wenn zum Beispiel ein Offshorewindpark gebaut werden sollte oder eine Explosivgefahr bestand“, sagt der Koordinator.
Bisher sei nie richtig untersucht worden, dass von der Munition auch Umweltgefahren ausgehen. Das wollen die Forscher ändern. „Die Umweltgefahren sind schleichend, da die Gifte – wir untersuchen insbesondere TNT und die Umbauprodukte von TNT – eine nachgewiesen krebserregende Substanz sind. Nach 80 Jahren korrodieren die Munitionshüllen und werden porös. Das Gift tritt so ins Meer und in das umgebende Ökosystem aus Pflanzen und Tieren ein.“
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Anhand von Sediment- und Wasserproben, sowie Kratzproben von den Schiffen wird untersucht, wie sie das TNT und die Umbauprodukte auf die Umwelt auswirken. Eine besondere Rolle in der Forschung spielen dabei die Miesmuscheln der Nordsee, die im Rahmen des Projektes beobachtet werden.
„Filtrierende Lebewesen wie Muscheln nehmen Stoffe aus dem Meer stärker auf als andere. In der Nordsee gibt es dazu aber noch keine konkreten Ergebnisse.“ In der Ostsee hingegen gebe es bereits Ergebnisse, die belegen, dass Muscheln TNT-Umbauprodukte anreichern. Da Muscheln von anderen Lebewesen gefressen werden, vermuten die Forscher, dass auch bei ihnen eine Anreicherung stattfindet.
Mit Sonar-Scans und Robotern den Meeresgrund erkunden
Vor Ort werden die Wracks mithilfe eines Sonar-Scans zunächst untersucht. Mit ihm können die Experten ungefähre Umrissaufnahmen machen und später auch 3D-Modelle entwickeln. „Es gibt eine gesicherte Position, die man mit dem Schiff ansteuert. Mit sogenannten Sidescan-Sonars verschafft man sich dann dort einen Überblick von dem Wrack“, erzählt Philipp Grassel. „Man würde da nicht blinglings reinhopsen. In der Nordsee kann es zum Beispiel auch passieren, dass ein Schiff eingesandet ist und gar nicht zugänglich ist.“
Zudem gibt es die Möglichkeit Roboter, sogenannte ROVS, auf den Meeresgrund zu schicken, um Bilder und Proben zu machen. „Das Wichtigste sind allerdings die Taucher“, so Bergmann.
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Die Lokalisierung der Wracks gelingt durch das Studium historischer Dokumente. Mitarbeiter des Projektes arbeiteten so etwa im Militärarchiv in Freiburg und stießen dort auf Untelagen zu Schiffen aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg.
So können die Forscher eruieren, welche Wracks sich am Meeresboden befinden. Eine größere Herausforderung stelle jedoch die Fahrt zu den jeweiligen Fundorten dar. „Es muss ein Forschungsschiff gechartert werden, es braucht Taucher, die runtergehen und es braucht überhaupt ein Wetter, dass diese Untersuchungen zulässt.“
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Wanderausstellung informiert über Munitionsfunde
Im vergangenen Jahr kamen dann noch neue Herausforderungen durch die Corona-Pandemie hinzu. Zwei geplante Ausfahrten vor der deutschen Küste mussten gestrichen werden. „Wir hoffen sehr, dass im April eine Fahrt mit der FS Heincke vom Alfred-Wegener-Institut losgeht. Allerdings ist es gerade zum Beispiel schwierig, belgische Taucher auf ein deutsches Schiff zu bekommen.“ Andere Partner wie die Belgier oder Dänemark hätten Ausfahrten machen können. „Das ist wichtig, denn so konnten weitere Proben entnommen werden“, sagt Bergmann.
Im kommenden Sommer wollen die Forscher ihre ersten Ergebnisse dann in einer Wanderausstellung präsentieren. Das Unternehmen Egeos aus Kiel hat zudem eine Webseite entwickelt, auf der weltweit die Fundgebiete markiert sind.