Erneut hat es in Deutschland am Donnerstag einen neuen Impfrekord gegeben. Knapp 740.000 Dosen wurden an nur einem Tag verimpft, 17,8 Prozent der Bevölkerung haben mittlerweile ihre Erstdosis erhalten. Auch die NDR-Talkshow „DAS!“ widmete sich am Abend dem Thema.
Zu Besuch bei Moderatorin Bettina Tietjen auf dem roten „DAS!“-Sofa war die Medizinprofessorin und Hausärztin Eva Hummers. Gemeinsam mit einer Kollegin leitet sie das Impfzentrum in Göttingen. Zudem ist sie Mitglied der Ständigen Impfkommission (Stiko) des Robert Koch-Instituts. Was sie dabei aus ihrem Alltag erzählte, schockierte auch Moderatorin Bettina Tietjen.
„DAS!“: Ärztin erhält Drohbriefe
„Reagieren Menschen auch unfreundlich? Kommt es vor, dass Sie richtig beschimpft werden?“, will Tietjen zu Beginn der Sendung über die Arbeit im Impfzentrum wissen. „Ich kriege Drohbriefe“, berichtet Eva Hummer. Zwar sei es nicht häufig, doch gerade nach der letzten Umstellung der Impfempfehlung bezüglich AstraZeneca sei es schon vorgekommen. Sowohl im Impfzentrum persönlich hätten einige Menschen sehr emotional reagiert und auch per Mail erhielte die Ärztin wütende Nachrichten.
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„Da muss man aber auch ein dickes Fell haben“, schlussfolgert Tietjen. „Da bin ich nicht gut drin, aber ich versuche es. Sonst könnte man das nicht machen“, so die Ärztin. Als Leiterin des Göttinger Impfzentrums, informiert Hummers die Patienten, kümmert sich um die Abläufe und behandelt Notfälle. „Die Ärzte in solchen Zentren impfen in der Regel gar nicht, sondern klären auf.“
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Mehr zu „DAS!“:
- Seit dem 2. Januar 1991 ist die Talksendung im NDR zu sehen.
- Die Moderatoren Bettina Tietjen, Inka Schneider und Hinnerk Baumgarten führen abwechselnd durch das Programm.
- Bekannt ist die Sendung auch unter dem Namen „Das Rote Sofa“, auf dem die Gäste Platz nehmen.
- 2012 sorgte eine „DAS!“-Sendung für Aufsehen, bei der Jenny Elvers-Elbertzhagen offenbar unter Alkoholeinfluss stand.
- Die Sendung wird täglich von 18:45 Uhr bis 19:30 Uhr ausgestrahlt.
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Wie oft es schon vorgekommen sei, dass Menschen, die mit AstraZeneca hätten geimpft werden sollen, die Impfung verweigerten, will Moderatorin Bettina Tietjen weiter wissen.
„Im Moment täglich. Ich sehe mir den individuellen Fall, den Menschen an. Ganz selten ist es medizinisch begründet. Meistens ist es das aber nicht. Dann kann ich zwar die Unsicherheit verstehen, trotzdem haben wir nicht drei Spritzen liegen und können sagen, wir nehmen diese oder jene. Es gibt nicht die Möglichkeit, sich den Impfstoff auszusuchen“, berichtet Hummers.
„DAS!“: Kein Impfstoff landet in der Tonne
Und was passiert mit dem Impfstoff, der übrig bleibt? Etwa wenn Menschen den Termin nicht antreten oder die Impfung verweigern. „Weggeworfen haben wir noch nie etwas. Wenn jemand eine Impfung ablehnt, ist der nächste halt eine halbe Minute schneller dran.“ „Die paar Restdosen werden nach einer Telefonliste vergeben.“
Ob sie dafür sei, dass Impfzentren länger auf haben, fragt Moderatorin Bettina Tietjen. „Im Moment ärgere ich mich drüber, dass das immer wieder gesagt wird. Der begrenzende Faktor ist der Impfstoff.“
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Meistens seien gar nicht alle Impfstraßen im Einsatz, weil nicht genug Impfstoff da sei. Man könne ohne Weiteres länger öffnen, wenn mehr Dosen zur Verfügung stünden. „Es ist eben ein sehr empfindliches und sehr schwierig herzustellendes Produkt. Das finde ich unerfreulich, aber nachvollziehbar, dass es eben so schnell nicht geht, wie man es gerne hätte.“
„DAS!“: Stiko rät von Zweitimpfungen mit AstraZenca ab
Gemeinsam mit 17 weiteren Mitgliedern ist Eva Hummers zusätzlich in der Stiko aktiv. Vor Corona tagte die Kommission zwei bis drei Mal im Jahr. Mittlerweile kommen sie fast wöchentlich zusammen, um über die neuen Entwicklungen zu beraten und ihre Empfehlungen auszusprechen.
Derzeit empfiehlt die Stiko, dass Menschen unter 60 Jahren, die bereits eine AstraZeneca-Erstimpfung erhalten haben, mit einem anderen mRNA-Impfstoff zweitgeimpft werden. „Das ist viel kritisiert worden, weil es eine Empfehlung auf einer hauchdünnen bis nicht vorhandenen Datenlage ist. Es gibt keine klinischen Studien mit Ergebnissen dazu.“ Dennoch sei dies derzeit die beste Lösung, denn „wir wissen tatsächlich überhaupt nicht, wie Astra-Zweitimpfungen vertragen würden“.
Den zögerlichen Start der Impstoffbestellungen in Deutschland erklärt sich Hummers so: „Lange wusste niemand, welche Impfstoffe das Rennen machen. Es gab sehr frühzeitig über 200 Impfstoffkandidaten. Wenn man jetzt von jedem, der da in der Vorbereitung war, ganz viel bestellt hätte, wäre das sehr teuer geworden. Das war eine Abwägung.“
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Der Ruf nach einer Auflösung beziehungswiese Lockerung der Priorisierungen sieht Hummers kritisch. „Der ganze Sinn der Priorisierungsüberlegungen war ja, ein sehr knappes Gut so einzusetzen, dass man den größtmöglichen Nutzen hat. Und den größtmöglichen Nutzen hat die Stiko seinerzeit so definiert, als die Anzahl verhinderter Todesfälle und die Anzahl verhinderter schwerer Erkrankungen.“
Um die dritte Welle aufzuhalten, würden die aktuellen Impfungen laut Hummers längst noch nicht genügen „Dazu müsste man schon 80 Prozent oder noch mehr der Bevölkerung, die man überhaupt impfen kann, impfen. Da reichen diese Zahlen einfach noch nicht aus.“ (mik)